Netzwerkdurchsetzungsgesetz - Angriff auf die Meinungsfreiheit
Vergangene Woche hat der Bundestag mit den Stimmen der grossen Koalition aus CDU/CSU und SPD einen der grössten Eingriffe in die Grundrechte der letzten Jahre verabschiedet. Vor allem auf den staatlichen Kanälen ARD und ZDF dominierte in der Berichterstattung jedoch das Thema „Ehe für alle“, obwohl davon nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung direkt betroffen ist. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das ebenfalls letzte Woche verabschiedet wurde und welches das Potential hat, massiv in das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung einzugreifen, wurde dort nur in einer Randnotiz erwähnt, obwohl es von allen Seiten Kritik hagelte.
Von der Koalition, allen voran dem für dieses Gesetz verantwortlichen Innenminister Heiko Maas (SPD) wird dieses Gesetz als Massnahme gegen Hass und Hetze im Internet bezeichnet, aber die Art wie dies laut Gesetz erreicht werden soll, ist höchst fragwürdig und für eine Demokratie sogar gefährlich.
Das Problem, das dieses Gesetz lösen möchte ist, dass auf sozialen Netzwerken – z. B. Facebook – unter vielen Milliarden völlig legitimer Beiträge auch einige sind, die zu Gewalt aufrufen, andere Menschen öffentlich in juristisch inakzeptabler Weise angreifen oder für verfassungsfeindliche Organisationen werben. Im Falle von Facebook mit fast 2 Milliarden aktiven Nutzern weltweit kann man davon ausgehen, dass jeden Tag eine mehrstellige Milliardenzahl an Beiträgen veröffentlicht wird. Angesichts dieser Dimension dürfte sofort klar sein, dass eine Vorabkontrolle auf mögliche Rechtsverstösse schon aus rein quantitativer Sicht gar nicht möglich ist. Aber auch nach dem Melden von solchen Inhalten dauert es zum Teil sehr lange, bis diese entfernt werden, weil – so der Vorwurf der Politik an Facebook – die Wege wie dies zu geschehen hat nicht klar sind und es keinen klaren Ansprechpartner für die Meldung solcher Beiträge und keine durchsichtigen Prozesse für die anschliessende schnelle Bearbeitung gibt.
Das Gesetz will dies durch neue Pflichten für die Betreiber von sozialen Netzwerken ändern. Hierzu werden die Anbieter verpflichtet, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorzuhalten und wenn jährlich mehr als 100 solcher Beschwerden eingehen, einen halbjährlichen deutschsprachigen Bericht über den Umgang mit diesen auf ihren Plattformen sowie im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Soweit, so gut.
Desweiteren verlangt das Gesetz aber, dass der Betreiber eines sozialen Netzwerks
- unverzüglich von der Beschwerde Kenntnis nimmt und prüft, ob der gemeldete Inhalt rechtswidrig und zu entfernen oder der Zugang zu ihm zu sperren ist.
- einen offensichtlich rechtswidrigen Inhalt innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt oder den Zugang zu ihm sperrt.
- jeden rechtswidrigen Inhalt unverzüglich, in der Regel innerhalb von 7 Tagen nach Eingang der Beschwerde entfernt oder den Zugang zu ihm sperrt. Diese Frist kann überschritten werden, wenn
- die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des Inhalts von der Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung oder erkennbar von anderen tatsächlichen Umständen abhängt.
- das soziale Netzwerk die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit innerhalb von 7 Tagen nach Eingang der Beschwerde einer anerkannten Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung überträgt und sich deren Entscheidung unterwirft.
Dabei liegt die Strafe für eine vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung dieser Auflagen bei bis zu 50 Millionen Euro.
Im Klartext bedeutet dies, dass nicht mehr die Gerichte darüber befinden, was rechtlich zulässig ist und was nicht sondern die Anbieter von sozialen Netzwerken selbst. Für eine schnelle Entfernung bietet das Recht das Mittel der Einstweiligen Verfügung, bei der eine Abwägung der Rechtsgüter getroffen wird. Dabei ist das Recht auf freie Meinungsäusserung, das immerhin ein Grundrecht ist, ein sehr hochstehendes Rechtsgut und es bedarf einer genauen Abwägung will man dieses einschränken.
Wird die Prüfung durch den Anbieter des sozialen Netzwerks selbst vorgenommen, so ist davon auszugehen, dass Grundrechte eine untergeordnete Rolle bei der Bewertung spielen wird und wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund treten. Angesichts der hohen Strafen, die das Gesetz vorsieht, wird aller Voraussicht nach eine Tendenz dazu bestehen, im Zweifelsfall lieber zu löschen. Auf diesem Weg entsteht eine Selbstzensur die das Grundrecht aushebelt.
Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, der unabhängig von Parteigrenzen arbeitet, hat in einer Ausarbeitung über die Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Recht auf Meinungsfreiheit erhebliche Bedenken geäussert. Ob es schlicht Inkompetenz, die Arroganz der Macht oder der bewusste Versuch der Regierungsparteien ist, die Grundrechte auszuhöhlen, vermag ich nicht zu beurteilen. Tatsache ist jedoch, dass die Koalition aus CDU/CSU und SPD dieses Gesetz gegen Bedenken des wissenschaftlichen Dienstes und gegen Kritik fachkundiger Stellen beschlossen hat und wir nun – wieder einmal – darauf hoffen müssen, dass das Bundesverfassungsgericht den Politikern ihre Grenzen aufzeigt und unsere Rechte gegen diese verteidigt.